Die Lehre von der Reintegration
Martinès de Pasqually war Freimaurer und besuchte häufig die Logen im Süden von Frankreich. Seiner Einschätzung nach war die Freimaurerei seiner Zeit jedoch von einer zweifelhaften Echtheit. Es galt daher, die Freimaurerei um das Zentrum einer besonderen Lehre herum wieder aufzubauen. In Foix rekrutierte er seine ersten Schüler und gründete ein Kapitel, den Tempel der Elus-Cohens. Aber es ist Bordeaux, von wo aus die Geschichte dieses Ordens wirklich begann. Er installierte dort den Obersten Rat und damit das Zentrum der Aktivitäten des Ordens der maurerischen Ritter der Elus-Cohens de l’Univers. Schon bald interessierte sich ein junger Leutnant der Grenadiere dafür, Louis Claude de Sankt Martin. Auf den vielen Reisen, die Pasqually unternimmt, gewinnt er weitere Schüler, u.a. Jean-Baptiste Willermoz. Der Orden wächst schnell und dehnt sich nach Paris aus, nach Versailles, Lyon, Grenoble, La Rochelle, Straßburg …
Martinès de Pasqually behauptete, nicht der Urheber der Lehren des Ordens zu sein, den er gründete und beruft sich auf überlieferte Tradition, die er innerhalb der Freimaurerei wieder etablieren wollte. Im Gegensatz zu den verschiedenen Systemen freimaurerischer Hochgrade, denen oft die theoretische Einheit fehlte, entwickelt sich das von Pasqually um eine besondere Lehre, nämlich die der Reintegration oder der Wiedereinsetzung. Das Lehrgebäude legte er in der Abhandlung über die Wiedereinsetzung der Geschöpfe in ihre ursprüngliche Tugend, ihre göttliche und geistige Macht (Traité de la Reintegration) nieder, einem Lehrtext, den er für seine am weitesten fortgeschrittenen Schüler verfasste. Dieser Text wurde ursprünglich 1899 in Form eines Buches herausgegeben.
Man kann die Aussage bzgl. der Reintegration bzw. der Wiedereinsetzung folgendermaßen zusammenfassen: Vor Anbeginn der Zeiten emanierte Gott aus sich freie Geschöpfe. Einige unter ihnen wollten selbst diese Schöpferkraft ausüben. Gott verbannt sie und schließt sie in die eigens für diesen Zweck geschaffene Materie ein. Die Gottheit emaniert dann den Ersten Menschen, ein Androgyn in einem Lichtkörper, den er mit geeigneten Mächten ausstatte, um so die aufrührerischen Geister zu Reue über ihre Untat zu bewegen. Doch fällt der Mensch seinerseits selbst und findet sich seitdem in einem Hautkörper eingeschlossen. Er hat weiterhin die gleiche Mission, doch muss er sich zuerst in seine glorreiche Stellung wieder eingliedern, d.h. reintegrieren, bevor er die Rebellen zum Guten führen kann. Da er nicht mehr über die gleichen Mächte verfügt, beschränkt sich sein Handeln auf einen äußeren Kultus, die Theurgie, mit deren Hilfe er „vermittelnde Agenten“, also die Gott in Treue ergebenen Engel, anrufen kann.
Ohne uns weiter in die Details einer komplexen Lehre zu vertiefen, können wir sagen, dass sich der Mensch in einem Zustand des Exils befindet und dass ihm die direkte Kommunikation mit Gott seit diesem kosmischen Drama entzogen wurde. Aufgrund seines Aufenthalts im Exil besteht für ihn die Notwendigkeit, sich an die „vermittelnden Agenten“ zu wenden, um wieder von Neuem mit Gott zu kommunizieren und seinen einstigen Zustand der Glorie wiederzuerlangen. Nach der Lehre von Martinès de Pasqually kann also der Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand nicht mehr innerlich mit Gott in Verbindung treten; er bedarf dazu einer äußeren rituellen Form der Kommunikation und einer edlen geistigen Ethik, um die Verbindung wieder herstellen zu können. Der Mensch kann mittels geeigneter Riten mit den höheren, edleren Kräften in Verbindung treten, was Pasqually durch die theurgischen Operationen zu erreichen bemüht war. Diese theurgischen Evokationen brauchten jedoch lange Vorbereitungen und waren den am weitesten fortgeschrittenen Mitgliedern des Ordens der Elus-Cohen vorbehalten, den Réaux-Croix.